Rohöl: Aufwärts immer, rückwärts nimmer?


Versorgungslage bleibt angespannt
Auf jeden Fall bleibt die Versorgungssituation beim “Schmierstoff der Weltwirtschaft“ nach wie vor angespannt. Daran wird auch die leichte Reduzierung des Nachfragewachstums für dieses und nächstes Jahr seitens der Internationalen Energie-Agentur ändern. Wenig bringen dürfte zudem die Erhöhung der OPEC-Förderquote um 500.000 auf 26,3 Millionen Barrel. Bereits im August hatten die Mitglieder des Kartells 27,6 Millionen Barrel gefördert. Trotzdem ging die weltweite Öl-Produktion im Vormonat wegen Ausfällen in der Nordsee und Mexiko um 430.000 auf 84,6 Millionen Barrel zurück. Die Senkung der Leitzinsen in den Vereinigten Staaten wird dazu beitragen, dass das amerikanische Wirtschaftswachstum nicht völlig zum erliegen kommt. Dies bedeutet aber auch gleichzeitig einen weiteren hohen Ölverbrauch weltweit und längerfristig mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit steigende Notierungen.
US-Lagerbestände stark rückläufig
Dennoch war der jüngste “Schluck aus der Pulle“ vielleicht etwas zu groß. Zurückzuführen ist die neue “Mega-Rallye“ beim “schwarzen Gold“ vor allem auf das Zusammentreffen diverser “bullischer“ Faktoren: So präsentierten sich die amerikanischen Lagerbestände in den letzten acht Wochen stark rückläufig. Mittlerweile sind die Leichtöl-Vorräte auf den tiefsten Stand seit acht Monaten gefallen und auch die Benzin-Bestände liegen deutlich unter ihrem fünfjährigen Durchschnitt. Kurzfristig ist zwar nicht auszuschließen, dass die Vorräte weiter nachgeben. Bis Jahresende sollten sie jedoch tendenziell ansteigen.
Kurzfristig schwächere Nachfrage
Hierfür wird schon der saisonal etwas geringere Verbrauch sorgen. Die “Driving Season“ in den USA ist mittlerweile zu Ende. Damit ist von dieser Seite aus mit einer gewissen Entspannung auf der Nachfrageseite zu rechnen. Einen erhöhten Bedarf zu Heizzwecken wird es vorläufig noch nicht geben. Erst ab Mitte Dezember ist ein solcher zu erwarten.
Hurrikan-Saison geht ihrem Ende zu
Sorge bereitete vielen Marktteilnehmern zuletzt auch die recht aktive Hurrikan-Saison. Hurrikan Humberto und ein weiterer sich über dem Atlantik zusammenbrauender Tropensturm hatten in der vergangenen Woche zur Folge, dass einige Raffinerien vor allem im Bundesstaat Texas die Produktion erkennbar zurückfahren mussten. Zwischenzeitleich läuft die Förderung wieder auf “Normal-Niveau“, nachdem die Stürme die Plattformen im Golf von Mexiko verschonten. Bis Anfang/Mitte Oktober ist das Thema “Hurrikans“ zwar noch nicht gänzlich “vom Tisch“. Jedoch muss man bedenken, dass nach dem 10. September die Häufigkeit und Intensität der Tropenstürme statistisch gesehen rapide abnimmt. Allzu starke Unterstützung dürften die „Bullen“ von dieser Warte aus also nicht mehr erhalten.
Eskalation des Iran-Konflikts nicht zu erwarten
Für regelrechte Panikkäufe am Ölmarkt sorgte darüber hinaus die Äußerung des französischen Außenministers, dass Frankreich sich im Hinblick auf den Atomkonflikt mit dem Iran unter Umständen sogar auf einen Krieg vorbereiten müsse. Später wurden diese Aussagen dann aber zügig relativiert. Natürlich entbehren die politischen Spannungen mit dem “Mullah-Staat“ nicht einer gewissen Brisanz. Dennoch erscheint ein Militärschlag recht unwahrscheinlich. Ohne die USA wird es eine solche Aktion sicherlich nicht geben. Und in den Staaten hält sich die Kriegslust nach dem Iran-Desaster derzeit in einem überschaubaren Rahmen. Abgesehen davon wissen die Industrie-Staaten genau, was ein militärisches Eingreifen für den Ölpreis bedeuten könnte: In diesem Fall könnten wir nämlich tatsächlich schnell Kurse jenseits der 100-US-Dollar-Marke sehen. Daran kann keiner Regierung gelegen sein. Denn dann wäre eine ausgemachte Rezession nicht mehr auszuschließen. Viel mehr als ein “Säbelrasseln“ waren die französischen Aussagen daher wohl nicht.
Korrekturen trotz Preis treibendem Umfeld wahrscheinlich
Auch wenn das generelle Umfeld für Rohöl auf Sicht von einigen Jahren nach wie vor extrem “bullisch“ bleibt, ist in den derzeitigen Notierungen ein beträchtliches “Risiko-Premium“ für Sturmschäden und eine Eskalation des Iran-Konflikts enthalten. Stellen sich diese Ängste in den nächsten Wochen und Monaten als unbegründet heraus, wird der Ölpreis erkennbar “Luft ablassen“. Aus fundamentaler Sicht jedenfalls sind die gegenwärtigen Kurse 15 bis 20 Prozent zu hoch.
Technisch noch keine Trendwende in Sicht
Charttechnisch deutet zur Stunde nicht viel auf eine bevorstehende Trendwende nach unten hin: Der Aufwärtstrend seit Jahresbeginn ist unverändert vollständig intakt und sowohl der Williams als auch der MACD sprechen für einen weiteren Kursanstieg, zumal die “kleine“ Widerstandszone bei 76,50 und 77,20 US-Dollar in der November-Lieferung nach oben durchbrochen wurde.
Allerdings besteht noch die Möglichkeit, dass Brent Oil an seinen Resist zwischen 78,50 und 79,10 US-Dollar scheitert und nach unten “abdreht“. Wenngleich die Wahrscheinlichkeit für ein solches Szenario angesichts der fundamentalen Ausgangslage recht hoch ist, wäre es derzeit vermessen, gehebelte Short-Positionen einzugehen. Solche sind erst zu verantworten, wenn es hierfür klage Signale gibt wie beispielsweise einen Rückfall unter die Unterstützungen bei 76,50 oder 75 US-Dollar. Gegenwärtig scheinen Anleger aus technischer Sicht gut beraten, mit einem Short-Einstieg noch etwas abzuwarten. Bestehende Long-Positionen sollten in jedem Fall per Stopp relativ eng abgesichert werden. Dafür bietet sich ein Niveau zwischen 76 und 74 US-Dollar an.
© Marc Nitzsche
Chefredakteur Rohstoff-Trader
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter finden sie auf der Website: www.Rohstoff-Trader.de