WTI wohl nur kurzzeitig deutlich preiswerter als Brent

Eine so hohe Rohölverarbeitung wurde im letzten Jahr nur gelegentlich während der Spitzenzeiten im Sommer und kurz vor dem Winter erreicht. Die Internationale Energieagentur warnte in ihrem jüngsten Monatsbericht sogar davor, dass die Kapazitätsgrenzen der Ölspeicher in den USA bald erreicht sein dürften. Wir erachten diese Sorge allerdings für übertrieben. Laut EIA waren die US-Lager Ende Februar erst zu 60% gefüllt. Die Auslastung im Mittleren Westen war mit 69% zwar deutlich höher.
Aber selbst wenn die Ölvorräte bspw. in Cushing die Kapazitätsgrenze erreichen sollten, bestehen inzwischen hinreichend Pipelinekapazitäten, damit das Überangebot an die US-Golfküste abfließen kann. Dort befinden sich nicht nur mehr als die Hälfte der gesamten US-Lagerkapazitäten. Diese waren Ende Februar auch erst zu 56% gefüllt. Die EIA bezifferte die freien Kapazitäten zuletzt noch immer auf bis zu 200 Mio. Barrel.

Wir sind jedoch überzeugt, dass die Preise diesseits und jenseits des Atlantiks spätestens in der zweiten Jahreshälfte aus folgenden Gründen wieder zusammenlaufen werden:
Der starke Rückgang in der US-Rohölverarbeitung im Januar/Februar um über 1 Mio. Barrel pro Tag war neben der weiter steigenden US-Rohölproduktion ein wesentlicher Faktor für den kräftigen Lageraufbau und die Preisschwäche von WTI in den letzten Monaten. Dieser Effekt wird in den kommenden Monaten auslaufen. Denn die Rohölverarbeitung in den USA dürfte ab Ende März allmählich wieder hochfahren. Dann nämlich enden üblicherweise die turnusmäßigen Umrüstungs- und Instandhaltungsarbeiten in den Raffinerien.
Die Verarbeitung steigt danach bis August saisonbedingt kräftig an, weil Benzin für die Sommerfahrsaison produziert wird. Das im Vergleich zum internationalen Preisgefüge besonders niedrige Preisniveau in den USA und die dadurch attraktiven Verarbeitungsmargen geben den US-Raffinerien einen zusätzlichen Produktionsanreiz. Die EIA sieht die US-Rohölverarbeitung im dritten Quartal auf ein Rekordniveau von durchschnittlich 16,4 Mio. Barrel pro Tag steigen, was zu einem Abbau der US-Rohölvorräte während der Sommermonate führen sollte.
Dieser dürfte durch eine im zweiten Halbjahr fallende US-Rohölproduktion verstärkt werden. Denn aufgrund des starken Rückgangs der Bohraktivität dürfte sich der Anstieg der US-Ölproduktion zunächst spürbar abflachen, bevor die Produktion ab Jahresmitte fallen sollte. Die EIA rechnet mit einer US-Rohölproduktion von 9,3 Mio. Barrel pro Tag in der zweiten Jahreshälfte, verglichen mit 9,4 Mio. Barrel pro Tag im ersten Halbjahr. Wir können uns vorstellen, dass der Produktionsrückgang aufgrund des seit Jahresbeginn verzeichneten Einbruchs bei den aktiven Ölbohrungen um gut 40% deutlich akzentuierter ausfällt.
Eine starke Angebotsreaktion erwarten wir vor allem bei den Schieferölproduzenten. Schließlich entfiel der Großteil der Stilllegungen in diesem Jahr auf die horizontalen Ölbohrungen, welche vor allem bei der Schieferölproduktion zum Einsatz kommen. In Nord-Dakota lag die Zahl der aktiven Ölbohrungen Mitte März offiziellen Angaben zufolge gut 40% niedriger als vor einem Jahr, was auf eine merklich schrumpfende (Schiefer-)Ölproduktion in diesem US-Bundesstaat hindeutet.
Nord-Dakota war neben Texas für den Anstieg der US-Rohölproduktion hauptverantwortlich. Die EIA sieht laut ihrem jüngsten Drilling Report die Produktion in der Bakken-Formation sowie zwei weiteren Schieferölvorkommen im April bereits leicht fallen. Damit wird sich insbesondere das Ölangebot in Mittleren Westen verringern, was zu einem merklichen Rückgang der Rohölvorräte in Cushing beitragen sollte, dem Handels- und Auslieferungsort für WTI.
Gleichzeitig dürfte sich die Situation am europäischen Markt entspannen. Hier trifft nämlich nach dem massiven Preisrutsch eine stärkere Nachfrage auf ein knapperes Angebot. Die jahrelang unter hohem Margendruck leidenden Raffinerien nutzen derzeit die Chance, dass die Produktpreise geringer gefallen sind als die Rohölpreise waren und erhöhen ihre Auslastung. Infolge der hohen Rohölverarbeitung sind die industriellen Rohölvorräte im Januar diesseits des Atlantiks laut IEA anders als zu dieser Jahreszeit üblich gesunken und folglich sogar unterdurchschnittlich gefüllt (Grafik 4).