Quo vadis Rohöl?


US-Lagerbestände schwinden kontinuierlich
Zwar sind die amerikanischen Lagerbestände in den letzten zwölf Wochen - von einer Ausnahme abgesehen - kontinuierlich angestiegen, so dass man den Eindruck gewinnen könnte, es sei mehr als genug Öl vorhanden. Bei genauerem Hinsehen jedoch fällt auf, dass die Zuwächse meist deutlich unter den Erwartungen des Marktes lagen. So rechneten Analysten in der Vorwoche beispielsweise mit einem Plus von 1,7 Millionen Barrel. Tatsächlich betrug die Zunahme jedoch lediglich 88.000 Barrel. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass die Vorräte Ende März circa fünf Prozent unter dem Niveau von 2007 lagen.
Produktion deckt Verbrauch nur noch knapp
Eine Erklärung hierfür liefert der Blick auf die aktuelle Ölmarkt-Statistik: Im Februar übertraf die globale Produktionsmenge die Nachfrage gerade einmal um 1,4 Millionen Barrel pro Tag. Bei einem täglichen Verbrauch von rund 87 Millionen Barrel sind das gerade einmal 1,6 Prozent. Dass daher keine allzu großen Kapazitäten für den Aufbau von Lagervorräten bestehen, liegt auf der Hand. Erschwerend kommt hinzu, dass um die überschüssigen 1,4 Millionen Barrel mit harten Bandagen gerungen wird, zumal immer mehr Schwellenländer mit dem Aufbau einer strategischen Öl-Reserve begonnen haben. Für das Gesamtjahr 2008 rechnet das amerikanische Energie-Ministerium mit einem Anstieg des weltweiten Outputs um 2,6 auf 87,24 Millionen Barrel pro Tag. Damit wäre der geschätzte Bedarf in Höhe von 87,04 gerade einmal knapp gedeckt.
Bis Ende 2009 erwarten die Behörden einen Zuwachs der täglichen Produktionsmenge um mehr als 4,75 Millionen Barrel. Unserer Einschätzung nach ist diese Prognose außerordentlich optimistisch, vor allem wenn man bedenkt, dass die meisten großen Ölfelder ihren Zenit bereits überschritten haben und Neufunde mittlerweile zunehmend Seltenheitswert genießen. Aber selbst wenn sie eintreffen sollte, wird es mit an Sicherheit Grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu einem nennenswerten Überangebot kommen, weil die Nachfrage in ähnlichen Dimensionen zunehmen dürfte. Dafür sollte allein schon die flächendeckende Motorisierung der Menschen in den beiden prosperierenden Volkswirtschaften China und Indien mit ihren zusammen mehr als zwei Milliarden Einwohnern sorgen.
Höhere Nachfrage während der anstehenden "Driving Season"
Als Hauptargument für einen fallenden Ölpreis wird in erster Linie eine mögliche Rezession in den Vereinigten Staaten bemüht. Zugegeben: Das Risiko eines wirtschaftlichen Schrumpfungsprozess in Übersee hat in den abgelaufenen Monaten signifikant zugenommen. Daraus jedoch zu folgern, dass die Bürger während der am 1. Mai beginnenden "Driving Season" ihre Sprit fressenden Geländewagen in der Garage stehen lassen, wäre sicherlich verfehlt. Bestenfalls wird die Nachfrage leicht unterdurchschnittlich verlaufen. Damit ist sie aber immer noch hoch genug, um den Ölmarkt aus seinem labilen Gleichgewicht zu bringen, vor allem falls es zu exogenen Störungen des Angebots kommen sollte.
Gefahr von Förderausfällen bleibt bestehen
Und die Gefahr von nicht nur unerheblichen Förderausfällen besteht angesichts der unverändert angespannten geopolitischen Situation fort. Erst kürzlich kam es im Irak zu einer Pipeline-Explosion, die den Versorgungsfluss empfindlich beeinträchtigte. Relative Ruhe herrscht gegenwärtig zwar im Iran und in Nigeria. Ob das aber auf Dauer so bleibt, ist zumindest ungewiss. Zu Spannungen kommt es zudem immer wieder zwischen dem Westen und den neo-kommunistischen Regierungen in Venezuela und Bolivien. Längerfristig ist nicht auszuschließen, dass die Staatschefs ein Ausfuhr-Verbot insbesondere in die USA verhängen. Ab Sommer muss zudem mit Hurrikan bedingten Förderausfällen in Golf von Mexiko gerechnet werden. In den vergangenen beiden Jahren hielten sich die Wirbelstürme hinsichtlich Anzahl und Intensität in Grenzen. Von daher wäre nun eigentlich einmal wieder eine überdurchschnittliche aktive Saison an der Reihe.
Korrekturen möglich aber keine Trendwende
Die fundamentale Lage spricht ganz klar für einen anhaltend hohen Ölpreis. Kleinere Korrekturen sind zwar speziell in den kommenden Wochen gut möglich. Kurse unter 80 US-Dollar können wir uns jedoch lediglich für den wenig wahrscheinlichen Fall einer ausgeprägten weltweiten Rezession vorstellen. Derzeit muss man im Ölmarkt sicherlich nicht aggressiv long gehen. Spätestens bei 95 oder 90 US-Dollar erscheint der Einstieg aber sinnvoll, um bei der nächsten "Rallye", die mit ziemlicher Sicherheit kommen wird, mit "an Bord" zu sein.
Charttechnik spricht für nochmalige Rücksetzer
Auch die langfristige charttechnische Betrachtung spricht bislang noch klar für weiter steigende Notierungen. Das allerdings darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wahrscheinlichkeit für nochmalige Rücksetzer zuletzt zugenommen hat. Das zweite Hoch von Ende März liegt unter dem ersten Hoch von Anfang März. Abgesehen davon ist der Ölpreis zu Wochenbeginn unter seine 18-Tage-Linie gerutscht, was den "Bären" zusätzliche "Nahrung" geben könnte. Der MACD generiert zur Stunde ein Verkaufsignal und auch der RSI deutet mit einem Niveau unter 50 auf eine Schwäche des Markts hin. Lediglich die Stochastik macht sich bereits auf, ein Kaufsignal zu liefern. Dieses ist aber noch nicht eindeutig. Solange der Support bei knapp unter 100 US-Dollar verteidigt werden kann, ist aalles mehr oder weniger im "grünen Bereich".
Selbst ein Rückfall unter die genannte Marke wäre nicht übermäßig tragisch, solange der steilere Aufwärtstrend seit August 2007 (derzeit bei etwa 95 US-Dollar) nicht nach unten durchbrochen wird. Richtig eng würde es bei einem nachhaltigen Rückfall unter 90 US-Dollar werden. Dann wäre nicht nur der längerfristige Aufwärtstrend sondern auch das Februar-Tief als zentraler Support "Geschichte". Mit diesem Szenario rechnen wir aber nicht. Allerspätestens bei 90 US-Dollar, wahrscheinlich sogar bereits bei 95 US-Dollar, dürfte der Markt wieder nach oben abdrehen und dann bereits in absehbarer Zeit neue Höchststände erreichen.
© Marc Nitzsche
Chefredakteur Rohstoff-Trader
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter finden sie auf der Website: www.Rohstoff-Trader.de