Öl: Wann endet der Sinkflug?


Versorgungslage nach wie vor angespannt
Ungeachtet des jüngsten Preisverfalls lässt sich nicht leugnen, dass die Versorgungslage beim Rohöl unverändert extrem angespannt ist. Lag die weltweite Überproduktion im vergangenen Jahr noch bei 2,2 Millionen Barrel pro Tag, erwartete man für 2008 zunächst einen Rückgang der Überproduktion auf 1,17 Millionen Barrel. Im letzten Monat sprach das amerikanische Energie-Ministerium dann sogar davon, dass der Output nur noch ganz knapp über dem Verbrauch liegen könnte. Einer Erzeugung von 84,4 Millionen Barrel pro Tag soll ein Bedarf von 86,3 Millionen Fässern gegenüberstehen. Mit anderen Worten: Obwohl die globale Öl-Produktion um 1,9 Millionen Barrel täglich zunehmen dürfte, schrumpft der Überhang auf läppische 100.000 Barrel pro Tag zusammen.
Rückläufige Lagerbestände
Das sich in einem solchen Umfeld keine nennenswerten Lagerbestände aufbauen lassen, liegt auf der Hand. Am 22. August teilen die US-Energie-Behörde mit, dass die Lagerbestände an Leichtöl 305,8 Millionen Barrel betragen. Ein Jahr zuvor befanden sich noch 325,8 Millionen Fässer in den amerikanischen Vorratstanks. Zugegeben: Bei Benzin und den Destillaten fiel das Minus deutlich moderater aus und die strategische Öl-Reserve konnte sogar von 690,4 auf 707,2 Millionen Barrel angehoben werden. Nichtsdestotrotz zeigen diese Zahlen, dass die Zeiten des Überflusses wohl definitiv vorbei sind.
Absehbare Korrektur nach “Blasen-Bildung“
Warum aber sind die Notierungen dann zuletzt unter so starken Abgabedruck geraten? Zu einem gewissen Teil dürfte es sich bei den Rücksetzern um Korrekturen des vorherigen übertriebenen Anstiegs gehandelt haben. Auch wenn das “schwarze Gold“ tendenziell sicherlich knapp ist, war der “Durchmarsch“ von gut 50 US-Dollar Anfang 2007 auf besagte 140 US-Dollar in gerade einmal 18 Monaten definitiv zuviel des Guten. Natürlich sehen die Kursverluste in den zurückliegenden Wochen dramatisch aus. Am längerfristig vollständig intakten Aufwärtstrend ändern sie aber nicht das Geringste.
Gefährliche Renaissance des “Greenbacks“
Verstärkt wurde der die Verkaufsbereitschaft zudem durch das Wiedererstaken des US-Dollars. Die jüngsten Wachstumsdaten für die Vereinigten Staaten überraschten viele Marktteilnehmer mit einem Plus von 3,3 Prozent positiv und verliehen dem “Greenback“ Rückenwind, zumal es in “Euroland“ weit weniger gut aussieht. Wir erwarten daher, dass die US-Wirtschaft als erstes die Krise meistern kann und rechnen mittel- bis langfristig mit einer “Renaissance“ der US-Valuta. Auf Sicht von einigen Jahren dürfte die Parität zwischen US-Dollar und Euro wieder hergestellt sein. Dies ist ein großer und absolut ernst zunehmender Belastungsfaktor für die Rohstoffmärkte im Allgemeinen und damit natürlich auch für Rohöl.
Zahlreiche Risikofaktoren für das Angebot
Demgegenüber stehen die diversen geopolitischen Risiken in Bezug auf Förderausfälle. Zur Stunde ist es dahingehend zwar vergleichsweise ruhig, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass bedeutende Produktionsländer wie Iran, Irak oder Nigeria einem “Pulverfass“ gleichen. Sorge muss darüber hinaus auch der Neo-Sozialismus in einigen südamerikanischen Staaten wie Bolivien oder Venezuela bereiten. Auch die laufende Hurrikan-Saison könnte den Notierungen Auftrieb verleihen, wobei in den momentanen Kursen unzweifelhaft immer noch ein gewisses “Sturm-Premium“ enthalten ist, wie am Dienstag deutlich wurde, nachdem die Preise kräftig “abschmierten“, weil “Gustav“ doch nicht so verheerende Auswirkungen hatte wie zunächst befürchtet.
Längerfristig moderat “buhlisch“
Alles in allem bewerten wir die Aussichten für den Ölmarkt jetzt wieder überwiegend “buhlisch“. Die Nachfrage vor allem aus den wachstumsstarken asiatischen Regionen dürfte bis auf weiteres hoch bleiben und auf Grund der angespannten Versorgungssituation ist der Markt außerordentlich anfällig für exogene Angebotsstörungen. Als einzigen aber keineswegs zu unterschätzenden Risikofaktor sehen wir derzeit den US-Dollar. Sollte dieser weiter aufwerten, wird Öl es schwer haben, zu alten Höchstständen zurückzufinden. Dennoch dürften zumindest die Zeiten des “Abverkaufs“ langsam aber sicher ihr Ende finden.
Technische Bodenbildung noch nicht in Sicht
Völlig anders stellt sich demgegenüber die technische Ausgangssituation dar: Mit den starken Kursrutsch am Dienstag ist der mittelfristige Aufwärtstrend erst einmal nach unten durchbrochen. Auch konnte der wichtige Support bei etwa 112 US-Dollar nicht verteidigt werden. Damit kann von einer Bodenbildung, wie sie sich zunächst abzeichnete, nicht die geringste Rede mehr sein. Sowohl der MACD als auch die Stochastik generieren ein Verkaufssignal und auch der RSI ist mit 24 alles andere als “bullisch“. Allerdings wollen wir auch nicht verhehlen, dass der letztgenannte Indikator mittlerweile in einen Bereich vorgedrungen ist, von dem aus es in der Vergangenheit immer zu Aufwärtsbewegungen kam. Diese Überlegung jedoch ist zur Stunde kaum mehr als eine zarte Hoffnung. Die nackten Fakten sprechen ungeachtet der deutlich überverkauften Situation des Marktes erst einmal für weiter fallende Notierungen. Zumindest ein Test des Supports bei 100 US-Dollar muss einkalkuliert werden.
© Marc Nitzsche
Chefredakteur Rohstoff-Trader
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter finden sie auf der Website: www.Rohstoff-Trader.de