Trügerische Entspannung am Kupfermarkt?

Nachdem der Kupferpreis an der Londoner Metallbörse Anfang Juli bei knapp 9.000 USD/t noch ein neues Allzeithoch markiert hatte, ging das rote Metall auf Korrekturkurs, in dessen Verlauf sowohl die 8.000- wie auch die 7.000 USD-Marke nach unten durchbrochen wurde. Bemerkenswerterweise waren es weniger metallspezifische Nachrichten, die den Auftakt zu dem scharfen Preisverfall am Kupfermarkt gaben, als vielmehr ein genereller Stimmungswechsel unter den Rohstoffmarktteilnehmern.
Unter dem Eindruck negativer Konjunkturaussichten, eines zwischenzeitlich wiedererstarktem US-Dollar und einer wachsenden Risikoscheu aufgrund der Kapitalmarktturbulenzen, entschlossen sich zahlreiche Großanleger und Spekulanten dazu, ihre Rohstoffengagements drastisch zurückzufahren (Abb. 2).
In der Folge kam es zu massiven Korrekturen an nahezu allen Rohstoffmärkten. So verlor der marktbreite Dow Jones AIG Rohstoffindex (DJAIG) von seinem Jahreshoch Anfang Juli bis heute bereits ein Viertel seines Wertes. Die jüngste Eskalation der Finanzkrise mit der Insolvenz von Lehman Brothers und der de facto Verstaatlichung von AIG als traurige Höhepunkte sorgte in den vergangenen beiden Wochen erneut für Druck auf die Notierungen von Kupfer und Co. An der LME fiel das rote Metall zwischenzeitlich auf den tiefsten Stand seit Jahresbeginn (6.861 USD/t).

LME-Lagerbestände steigen auf 19-Monatshoch
Neben dem von Finanzmarktturbulenzen geprägten allgemeinen Marktumfeld gibt es jedoch auch den Kupfermarkt direkt betreffende Entwicklungen zu vermelden. Am augenscheinlichsten ist dies wohl bei den LME-Lagerbeständen, die in den letzten drei Monaten um stattliche 64% auf nunmehr knapp über 200.000 t angewachsen sind. Wenngleich das Auffüllen der Kupferlager in diesem Teil der Saison nicht ungewöhnlich ist, sind die Bestandszunahmen bei den Metallbörsen u.E. auch vor dem Hintergrund nachlassender Konjunkturdynamik zu sehen. Für die derzeit ausreichende Verfügbarkeit von Kupfer am europäischen und US-Markt spricht auch, dass die Prämien für Spot-Kupfer ggü. dem Dreimonatstermin (Backwardation) von rund 230 USD im Juli bis heute vollständig abgebaut wurden.

ICSG: Weltmarktdefizit im 1. HJ rückläufig
Nach dem jüngsten Bericht der International Copper Study Group (ICSG) befand sich der Weltkupfermarkt im 1. Halbjahr 2008 in einem Defizit von 130.000 t. Damit hat sich der globale Nachfrageüberschuss im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Unter Berücksichtigung von saisonalen Effekten ergibt sich für die ersten sechs Monate des Jahres sogar ein moderater Angebotsüberschuss von 89.000 t (1. HJ 2007: -67.000 t saisonbereinigt). Vor dem Hintergrund der neuesten ICSG-Statistik revidieren wir unsere ursprüngliche Erwartung eines erneuten Kupfermarktdefizits für das Gesamtjahr. Nach aktuellem Stand erscheint nun eher ein Überschuss in der Größenordnung von 100.000-200.000 t wahrscheinlich.

Angebotsseitige Risiken jedoch weiterhin vorhanden
Trotz der aktuellen, konjunkturell bedingten Entspannung - widergespiegelt von steigenden Lagerbeständen und abnehmender Nachfrage in Europa und den USA - kann u.E. noch keine Entwarnung hinsichtlich der strukturellen Knappheit am Kupfermarkt gegeben werden. Im Gegenteil: Zeigen die ICSG-Daten doch auch eine in allen Weltregionen außer Afrika (Jahresproduktion: <1 Mio. t) rückläufige Kupferminenproduktion.
Fazit
Das konjunkturelle Umfeld in den Industrienationen und damit auch die Preisperspektiven für Basismetalle wie Kupfer haben sich in den vergangenen Wochen weiter eingetrübt. Dies i.V.m. der zuletzt drastisch gestiegenen Risikoaversion hat wiederum zahlreiche Großanleger dazu bewogen, ihre Rohstoff- bzw. Metallpositionen in großem Stil zu reduzieren, wodurch ein zusätzlicher Preisdruck entstand. Um dieser Gemengelage Rechnung zu tragen haben wir bereits Mitte September (Commodities Weekly 36) unsere mittelfristigen Prognosen für Kupfer und andere Metalle gesenkt.
Das langfristige Preisziel für Kupfer bleibt indessen unverändert. Denn die strukturellen Angebotsprobleme werden durch den Konjunkturverlauf allenfalls aufgeschoben - nicht jedoch behoben. Nimmt man die Entwicklung der langfristigen Kupferkontrakte (Abb. oben) in der Korrektur der vergangenen Wochen zum Maßstab scheinen die Terminmarktakteure diese Einschätzung zu teilen.
© Sven Streitmayer
Commodity Analyst
Quelle: Landesbank Baden-Württemberg, Stuttgart
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