OPEC: Nur eine Schönwetter-Weltmacht?

Eine Börsenweisheit besagt: “Es gibt viele gute Bullmarkt-Händler... Nur wenige von ihnen überleben in einer Krise“. Bei der OPEC ist es nicht anders gewesen: als die Nachfrage und die Preise in den letzten Jahren aufgrund einer enormen Industrialisierung der Schwellenländer stets nur nach oben kletterten, hat man gewusst, seine Macht rechtzeitig einzusetzen und kurzfristige Preisrückgänge effektiv zu bekämpfen. Der Unterschied zu den Situationen in den letzten Jahren besteht jedoch darin, dass nicht wie früher die Sorge um potenzielle Angebotsstörungen, sondern vielmehr die Befürchtung massiver Nachfrageeinbrüche derzeit den Ölpreis bestimmt. Somit befindet sich die OPEC aktuell in einem klassischen “Gefangenendilemma“. Wenn alle OPEC-Staaten bei den beschlossenen Produktionskürzungen mitziehen und ihre Exporte kürzen, sollten sich die Preise wieder stabilisieren und sogar relativ schnell erholen, weil die Nachfrage nicht komplett weggebrochen ist.
Damit muss man aber auch auf einen Teil der Gewinne freiwillig verzichten. In vielen Fällen sind diese Einnahmen extrem wichtig, um die zuletzt aufgeblähten Sozialprogramme zu finanzieren. Dadurch ist die Versuchung bei jedem einzelnen OPEC-Mitglied groß, seine Produktion nicht zu kürzen, um mehr als die anderen vom erneuten Ölpreisanstieg zu profitieren. Die einzelnen OPEC-Mitglieder waren sich in den 80er und 90er Jahren oft uneinig und hielten sich nicht an die jeweiligen Quoten, was die Glaubwürdigkeit und das Image des Kartells stark beschädigt hat. Eine Abweichung der Kartellmitglieder vom letzten Beschluss hätte somit auch eine starke negative psychologische Wirkung und würde die Macht zusätzlich unterminieren.
Ende Oktober beschloss die OPEC, die Produktionsmenge zum 1. November um 1,5 Mio. Barrel pro Tag zu reduzieren (der Irak ist seit 1998 aus dem Quoten-System rausgenommen). Zum Zeitpunkt des Kürzungsbeschlusses befand sich der OPEC-Ölpreis mit knapp 61 USD je Barrel im langfristigen Vergleich auf einem noch immer recht hohen Niveau. Warum sah sich die OPEC dennoch veranlasst, die Produktion außerplanmäßig zu kürzen? Ein Grund dürfte die Dynamik des Ölpreisrückgangs gewesen sein. Vom Hoch Anfang Juli bei 140 USD je Barrel hat sich der OPEC-Preis innerhalb von 3,5 Monaten mehr als halbiert.
Ein weiterer Grund dürfte sein, dass viele OPEC-Staaten ein höheres Preisniveau benötigen als noch vor einigen Jahren, um ihren Staatshaushalt im Gleichgewicht zu halten. Zu nennen sind hier in erster Linie der Iran und Venezuela. Anstatt wie Russland, Norwegen oder einige arabische Länder Rücklagen in Form von Devisenreserven oder Sovereign Wealth Funds zu bilden, haben diese Länder die Sozialausgaben stark ausgeweitet und kostenspielige politische Ziele erfolgt, z.B. ideologisch nahestehende Staaten oder Organisationen finanziell unterstützt. Man hielt den Ölpreisanstieg für dauerhaft und rechnete nicht mit einer derartigen abrupten Korrektur. Nun geraten die Staatshaushalte dieser Länder zunehmend in Bedrängnis. Daher verwundert es nicht, dass sich Iran und Venezuela nun am vehementesten für eine Kürzung der Fördermenge aussprechen, um den Ölpreisverfall zu stoppen. Sie verfolgen damit in erster Linie ihre eigenen Interessen.
Eine Fördermengenkürzung muss dabei von allen OPEC-Mitgliedern entsprechend ihrer jeweiligen Quoten getragen werden. Saudi-Arabien, welches der weltgrößte Ölproduzent ist und etwa ein Drittel der OPEC-Förderung stellt, trägt in absoluten Zahlen mit 466 Tsd. Barrel den Löwenanteil der jüngsten Kürzung. Danach folgt der Iran mit einer Reduktion von 199 Tsd. Barrel. Venezuela muss seine Produktion um 129 Tsd. Barrel pro Tag reduzieren. Das entspricht 5% der jeweiligen Quote. Um diesen Prozentsatz sinken die Öleinnahmen zusätzlich, wenn der Ölpreis nicht entsprechend steigt.
Am ehesten kann derzeit noch Saudi-Arabien einen Rückgang der Öleinnahmen verkraften. Nach Schätzungen der Beratungsfirma PFC Energy benötigt Saudi-Arabien bei gleichbleibender Produktion in diesem Jahr einen Ölpreis von 55 USD je Barrel, damit die Leistungsbilanz nicht ins Defizit rutscht. Für den Iran liegt das kritische Preisniveau ebenfalls bei 55 USD, für Venezuela dagegen bei 94 USD. Aufgrund der hohen Ölpreise in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres dürfte das Jahr 2008 wahrscheinlich noch kein Problem darstellen. Kritisch könnte es allerdings im nächsten Jahr werden, zumal der benötigte Ölpreis in den meisten OPEC-Ländern im Jahr 2009 noch einmal höher liegt (siehe Grafik 4).
